Samstag, 21. April 2012


17.4.12

Ich verstehe nicht, dass es alles mit mir passiert. Wie kann das alles sein? Warum ich, warum muss ich das durchmachen, warum muss ich mich mit 26 mit dem tod rumschlagen, warum gehen meine beine nicht?
Meine beine....wie vermisse ich euch!!!wie sehr wünsche ich euch zurück...ich sehe nur noch tausende sachen, die ich nicht mehr machen kann. Ich erlebe sie ständig...ihr schlaft ein und mein ganzes leben ist dahin, ich erkenne es nicht wieder.
Ich sitze heir und kann nicht aufhören, zu weinen. Ich war in der tagesklinik, bin völlig müde und kann mich nicht mal ins bett legen, ich muss sitzen bleiben, in diesem stuhl, mein arsch tut weh und ist taub und kalt, ich bin völlig fertig, aber ich kann nicht schlafen gehen, es ist niemand da, und ich kann mich nicht alleine umsetzen. Kann sich das einer vorstellen? Ich kann nicht mehr über die wiesen laufen und im wald wandern, ich kann nie wieder fahrrad oder inliner fahren, ich kann nie wieder am meer spazieren gehen und den sand zwischen meinen zehen spühren, und weg laufen, oder auch nicht, wenn die nächste welle kommt....
bilder über bilder, nasse küchenrolle, verheultes kortison-gesicht....
wie soll ich damit klarkommen...?ich weiss es nicht... ich bin sooo müde.

1.3.12 Palliativstation des Hyussenstifts

Lange gelebt und nichts aufgeschrieben. Man soll es nicht glauben, aber ein Kranker kann einen vollen Terminkalender haben und überhaupt keine Zeit für sich! Da läuft doch eindeutig etwas schief...
Aus der Studie, die so vielversprechend war, bin ich rausgeflogen. Laut Statistik dauert es durchschnittlich ca 6 Monate bis der Tumor eventuell eine Resistenz entwickelt und das Medikament nicht mehr wirkt. Ich hatte vor, mindestens 12 Monate daraus zu machen. mein Herz war voller Hoffnung und Zuversicht. Die Unterhautmetastasen die ich deutlich fühlen konnte und von welchen ich einige hatte, schrumpften schon am fünften Tag. Das war wie ein Wunder. Ich jubelte, das Zeug wirkt!!! (es ist nicht selbstverständlich, die Ansprechrate ist bei diesem Medikament zwar die beste, (70%!!!) aber es könnte ja auch daneben gehen). Mir ging es jeden Tag ein bisschen besser, mein Lebensdurst wuchs wie ein Hefeteig, ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen und durfte sogar in einer Woche in die Reha. Hach, war das alles wunderbar und wunderschön. In die Reha bin ich doch noch recht schwach und wackelig und viel zu dünn mit einem Rollator gekommen. Zurück ging ich frei und sicher auf eigenen Beinen stehend. Ich habe fast zwei Kilo zugenommen und sogar wieder ein Paar Muckies gekriegt. Ich strahlte über beide Ohren, ich hatte wieder Kraft, ich konnte viele Sachen wieder selbst machen, zur riesiger Freude für mich und für meine Freundin!
Doch eine Sache hat die schöne Reha-Zeit doch betrübt. Meine Leberwerte waren 3 Wochen lang zu hoch und laut Studienvorschriften musste ich die Wunderpillen absetzen. Jeden zweiten oder dritten Tag habe ich auf Blutabnahme gedrängt und gehofft dass die Werte nun ausreichen. Ich habe versucht nichts fettes zu essen, habe auf Süßigkeiten verzichtet und um mein Leben Wasser getrunken. Nach einer Woche schon meinte ich die Unterhautknötchen wieder zu fühlen. Panik machte sich in mir breit. Irgendwann war es aber soweit. Überglücklich schluckte ich wieder meine Pillen, die Ärzte sagten, dass solche Pausen in der Behandlung nichts Aussergewöhnliches seien. Eine Woche vor Reha-Schluss fahre ich nach Essen um einen Staging zu machen und zurück. So ein Staging muss laut Studienvorschriften alle 2 Monate gemacht werden und man kann es nicht verschieben.
Zehn Tage später, schon zu Hause angekommen, gehe ich völlig ruhig zu der Befundbesprechung. Wenn was wäre, hätten sie schon längst angerufen. Das war schon immer so. Aber falsch gedacht. Die Tumore sind gewachsen. Ich kann es nicht fassen, dass sie mich aus der Studie rauswerfen. Die Pillen taten mir doch gut! Die Krebsbiester schrumpften, ich fühlte das doch! Die blöde drei-Wochen-Pause war das, wenn nicht sie, wäre das doch nicht passiert! Aber die Studiengesetze sind streng und müssen eingehalten werden. Es hieß: „unter der Gabe der Medikation gewachsen“. Pausen werden da nicht berücksichtigt.


Rehaklinik Bad Oexen. 15.11.11

Wir sind eine kleine oder große Gruppe von 11 Jungen Erwachsenen Menschen von 21 bis 31 Jahren mit unterschiedlichen onkologischen Vorgeschichten, unterschiedlichen Stadien der Erkrankung und unterschiedlichen Prognosen.
Wir sitzen am Mittagstisch und können seit der Einreise nicht aufhören, über unsere Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede zu sprechen, uns auszutauschen. Jeder will zu Wort kommen, jeder will sein „und ich auch“ aussprechen, endlich ist das auf der Tagesordnung. Gerade reden wir über die Vergesslichkeit und unseres „sich-nicht -konzentrieren-können“. Die Psychologen sagen, das kommt als Folge der Chemo oder anderen Medikamenten oder als Folge einer großen Angst, Todesangst zum Beispiel, oder einer anderen traumatischen Erfahrung häufig vor. Wir tauschen uns aus. Es ist lustig, fast jeder nickt oder sagt „ja ja, bei mir auch“. Fast alle von uns schreiben Spickzettel vor den Arztbesuchen, weil ansonsten die größte Hälfte vergessen wird. Fast alle vergessen Namen, verdrehen Buchstaben, vergessen Vokabeln, vergessen grundsätzlich fast alle Geburtstage, und können so langen geschriebenen Sätzen wie dieser nur noch schwer folgen. J. sagt, dass sie nicht länger als 20 Minuten zuhören kann. Der Aussage folgen erstmal viele begeisterte Zurufe von allen Seiten. Meine Gedanken schweben über das Gemurmel am Tisch. Ich höre nicht mehr zu. Ich denke an meine Freundin, die ich liebe, und die sichtlich verletzt darüber war, als ich etwas Wichtiges vergessen habe, was sie mir gerade vor kurzem erzählte. Sie weiss, dass ich nichts dafür kann, und ich weiss, dass sich das blöd und verletzend anfühlt. Morphindemenz nennen wir das und können zum Glück meistens darüber lachen.
Mit meiner Aufmerksamkeit wieder am Tisch merke ich, wie das warme Gefühl des Nicht-allein-Seins, des Dazu-gehörens hier, an diesem Tisch, sich in mir breit macht. Es tut so gut...