Montag, 7. Mai 2012


Hallo meine Lieben

ich schreibe euch, weil ich euch ein bisschen erklären will, wie die
Situation ist und wie es mir geht.

Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, bin ich in letzter Zeit etwas in
mich zurückgezogen und oft, wenn ihr mich anruft und fragt, wann ihr mich
denn mal besuchen könnt, bleibe ich vage oder sage, dass es eigentlich im
Moment nicht so gut geht.

Das mache ich nicht, weil ich mich nicht über eure Besuche und Anrufe
freue. Ich bin überwältigt von eurer Anteilnahme und von eurem Wunsch, mich
zu besuchen und mir eine Freude zu machen.

Es sind nur in den letzten Wochen Sachen passiert, mit denen ich nur schwer, wenn überhaupt klarkomme. Hier eine kleine Zusammenfassung=)

Die konventionelle Chemotherapie, die letzte Therapiemöglichkeit die ich hatte, hat nichts gebracht. Alle Tumore sind leider gewachsen und sogar neue dazugekommen... Der Tumor im Rücken ist so gewachsen, dass er das Rückenmark nun zu stark eingequetscht hat.  Seit ca 7 Wochen bin ich ab dem 6. Brustwirbel, (das ist ungefähr zwischen den Schulterblättern und unterhalb der Brust) querschnittgelähmt, Meinen Bauch, mein Arsch und meine Beine fühle ich nicht mehr und kann sie nicht bewegen. Nicht dass das eine große Überraschung für mich wäre, die Ärzte haben mir das schon lange prophezeit, dass das irgendwann eintreten kann, wenn der Tumor wächst. Ich hätte aber nie gedacht, was das alles mit sich bringt und wie sehr das mein ganzes Leben verändert...
Ich muss nun an und ausgezogen werden, ich kann mich nicht selbst auf Toilette setzten und auch nicht meine Hose runterziehen, ich kann mich auch nicht alleine auf das Bett legen wenn ich mal müde bin, und wenn ich für die Nacht gelegt wurde, liege ich so die ganze Nacht, weil ich mich nicht selbst umdrehen kann. Ich weiss nicht, ob man sich das vorstellen kann...aber ich komme mit all dem so was von nicht klar...Weil ich mit dem Querschnitt auch meine Blase nicht fühle, habe ich jetzt aus meinem Bauch einen Schlauch an den ein Ventil angeschlossen ist und aus dem ich jetzt pinkeln kann. (immerhin! das hat die Toilettengänge wesentlich erleichtert!) Wenn ich in euerer Gegenwart pupsen muss, (Pardon, eine Dame tut das natürlich nie))) aber bitte nicht übel nehmen, denn das kann ich nun auch nicht mehr kontrollieren.......... (heul!) .......wie scheisse sich das anfühlt bitte...:-((((
Jetzt muss ich mich auch an die neue Sicht-und Reichweite gewöhnen. An die Schränke und Regale nicht drankommen, die früher deine Freunde waren und man alles gesehen und sich nehmen konnte. Jetzt ist vieles in meiner Wohnung unerreichbar. Für jeden Scheiss muss ich denjenigen, der da ist ständig bitten. Ach ja, und ständig muss irgendjemand da sein...Mir fällt andauernd alles runter, weil die Sachen meist zu hoch oder zu tief liegen, oder sie kullern von meinem gefühllosem Schoß runter und ich merke es erst wenn es kracht. Ich muss ganz schön in Geduld mit mir üben...Ich war immer jemand, der alles immer selbst machen wollte...
Dazu kommt, dass ich mich äusserlich so sehr verändert habe, dass ich mich nicht wiedererkenne. Die Füße und Beine sind vom Dauersitzen voller verstauter Lymphe oder Wasser so dass sie doppelt so groß sind und ich in keine meiner Schuhe mehr reinpasse, der Bauch ist so groß wie, ohne Witz, im 7. Monat schwanger. Das kommt daher, dass die Bauchmuskeln auch gelähmt sind und die Organe und alles was so im Bauch ist, nicht mehr halten können. Ich trage daher so einen Gurt, der den Bauch ein Bisschen hält und den Rücken stabilisiert, aber meinem schönem flachem Bauch wie so einigem anderem kann ich wohl für immer adiòs sagen...:-( Was mich aber am meisten traurig macht, ist mein Gesicht, das vom Kortison so angeschwollen ist. In der letzten Behandlung musste ich eine sehr hohe Dosis Kortison nehmen um ein Bisschen länger laufen/stehen zu können. Leider hat Kortison aber das als Nebenwirkung. Ich sehe aus, als wäre ich total fett, alle meine Gesichtszüge haben sich verändert, dazu habe ich einen neuen Tumor am Hals, der leider auch nicht klein ist, das macht die Erscheinung rund...*böse lach* :-)
 und ich komme damit echt sehr wenig klar...ich frage mich manchmal was in diesem Körper noch von Tanja geblieben ist? Von der vor 10 Monaten... Ich selber weiß nicht so genau, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. In manchen Momenten kann ich das vergessen und es
geht mir etwas besser, in anderen Momenten fühle ich mich hilflos und verzweifelt.

Ich brauche Zeit, um all die Scheisse zu verarbeiten. (Die Zeit hat sowieso ganz neue Dimensionen bekommen...) Aus diesem Grund
gehe ich manchmal nicht ans Telefon oder sage, dass ich keine Zeit für
Besuche habe.

Ehrlich gesagt könnte ich es verstehen, wenn auch ihr nicht so genau wisst,
wie man mit dieser Situation umgehen soll.

Ich freue mich, wenn ihr mir kleine Nachrichten auf Facebook oder als sms
schickt. Ich freue mich auch weiterhin über eure Anrufe und wenn ihr fragt,
ob ihr vorbei kommen könnt.

Bitte habt nur Verständnis, wenn ich nicht reagiere oder sage, dass ich im
Moment für Besuche nur selten Kraft habe. Ich bin etwas überfordert.

Danke, dass ihr mich begleitet.

Allerdings jetzt, wo ihr wisst, wie die Lage ist, und ich nicht erzählen und wie es mir geht zu sagen brauche, (das fällt mir nämlich schwer) könnten wir irgendwann bald eine Mitleidsparty starten=)))) ihr könntet meine neue Bechindiwohnung besichtigen und vielleicht mir helfen, ein paar Plakate aufzuhängen. Wir könnten auch einen Kuchen backen, oder Spiele spielen, oder auch ein bisschen weinen und darüber philosophieren, wie ungerecht diese Welt ist.

ich habe euch sehr sehr lieb!

Eure Tanja

2 Kommentare:

  1. Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

    Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.
    "Wer bist du?" fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. "Ich…ich bin die Traurigkeit", flüsterte eine Stimme so leise, dass die kleine Frau Mühe hatte, sie zu verstehen.
    "Ach, die Traurigkeit", rief sie erfreut aus, fast als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
    "Kennst du mich denn", fragte die Traurigkeit misstrauisch.
    "Natürlich kenne ich dich", antwortete die alte Frau, "immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
    "Ja, aber ..." argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du nicht vor mir, hast du denn keine Angst?"
    "Oh, warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selber nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst und dich so nicht vertreiben lässt. Aber, was ich dich fragen will, du siehst - verzeih diese absurde Feststellung - du siehst so traurig aus?"
    "Ich…ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
    Die kleine alte Frau setzte sich jetzt auch an den Straßenrand. "So, traurig bist du", wiederholte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert bist?"
    Die Traurigkeit seufzte tief auf. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie vergebens versucht und ...
    "Ach, weißt du", begann sie zögernd und tief verwundert, "es ist so, dass mich offensichtlich niemand mag. Es ist meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und eine Zeitlang bei ihnen zu verweilen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Aber fast alle reagieren so, als wäre ich die Pest. Sie haben so viele Mechanismen für sich entwickelt, meine Anwesenheit zu leugnen."
    "Da hast du sicher Recht", warf die alte Frau ein. "Aber erzähle mir ein wenig davon."
    Die Traurigkeit fuhr fort: "Sie haben Sätze erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll.
    Sie sagen "Papperlapapp - das Leben ist heiter", und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und Atemnot.
    ...

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  2. ...

    Sie sagen "Gelobt sei, was hart macht", und dann haben sie Herzschmerzen.
    Sie sagen "Man muss sich nur zusammenreißen" und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken.
    Sie sagen "Weinen ist nur für Schwächlinge", und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe.
    Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht spüren müssen."
    "Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen ja mit deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?"
    Die Traurigkeit kroch noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Ja, das will ich", sagte sie schlicht, "aber helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich selbst zu begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen können, um ihre Wunden zu pflegen.
    Wer traurig ist, ist ganz dünnhäutig und damit nahe bei sich.
    Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht verheilte Wunde. Aber nur, wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die Chance, dass seine Wunden wirklich heilen.
    Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus Bitterkeit."
    Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war tief und verzweifelt.
    Die kleine alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. "Wie weich und sanft sie sich anfühlt", dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich weiß, dass dich viele Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon einige bereit sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die begreifen, dass du ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die Mutlosigkeit keine Macht gewinnt."
    Die Traurigkeit hatte aufgehört zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin.
    "Aber jetzt sage mir, wer bist du eigentlich?"
    "Ich", antwortete die kleine alte Frau und lächelte still. "Ich bin die Hoffnung!"

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